Die Spiegel-Affäre – Skandal oder nur die Spitze eines Eisberges?

Gepostet am: 22. Dezember 2018 um 12:57

Genau so, wie Ralf Yamamoto es diese Woche schon angemerkt hat, fühlt man sich bei der aktuellen Spiegel-Affäre an mein Buch „Die Story“erinnert. Und wieder einmal hat die Realität die Fiktion eingeholt. Wie schon in „Euphrat“, als es um einen geplanten Giftgasanschlag ging, der in Schwerin stattfinden sollte. Und tatsächlich steht zur Zeit in Hamburg ein Mann vor Gericht, der in seiner Schweriner(!) Wohnung mit solchen Substanzen herumexperimentiert hat und wohl plante, damit Menschen zu töten.
Die aktuelle Affäre um einen preisgekrönten „Journalisten“, die den Spiegel nun erschüttert, ist nach meiner Ansicht nur die Krönung des beispiellosen Niederganges des früheren „Sturmgeschützes der Demokratie“. War das Hamburger Nachrichtenmagazin unter Augstein, Böhme und Aust noch ein von den Mächtigen gefürchtetes Medium, das Woche für Woche mit Enthüllungen glänzte, die immer mal wieder die Republik erschütterten, so verkam es in den letzten zehn Jahren zunehmend zu einem transatlantischen Sprachrohr der Neoliberalen.
Auch ich war in den späten Neunzigern und frühen Zweitausendern regelmäßiger Leser. Zwar nervte mich das ständige „Ossi-Bashing“ und die schon fast missionarische Jagd nach angeblichen Stasi-IM. Doch geschenkt – interessant waren die meisten Artikel allemal. Bis zu einem gewissen Grade machte ich sogar die regelmäßigen Erhöhungen des Kaufpreises mit, bis mir eines Tages auffiel, dass der die Seitenzahl im Gegensatz dazu abnahm. Und auch die Qualität vieler Beiträge schlug dieselbe Richtung ein. Frustriert flüchtete ich für einige Jahre zu SPON – Spiegel-Online. Das ging solange gut, bis die ersten Berichte zu den Protesten auf dem Kiewer Maidan erschienen und sich die Redaktion an die Spitze einer bis dahin nie gekannten Anti-Russland-Hetze setzte. Der Tiefpunkt war dann das berüchtigte Stoppt-Putin-Jetzt-Cover im Sommer 2014, für das der Spiegel zu Recht vom deutschen Presserat abgemahnt wurde. Nicht nur für mich, auch für viele andere war dies der ein Beispiel für Kriegshetze, wie sie in Deutschland seit Goebbels Zeiten nicht mehr vorgekommen war.
Der Rest der Geschichte ist bekannt. Ständig wechselnde Chefredakteure, sinkende Abonnentenzahlen, wegbrechende Werbeeinnahmen und kaum ein Kritiker, der um die Titulierung „ehemaliges Nachrichtenmagazin“ herumkommt.
Und nun hat man einen vermeintlichen „Geschichtenerzähler“ entlarvt, der sich Stories ausgedacht haben soll, statt sauber zu recherchieren (und dafür mit Preisen überhäuft wurde). Liebe SPIEGEL-Redaktion, nehmt diesen Vorfall zum Anlass und räumt gleich richtig auf! Vielleicht habt Ihr ja noch nicht alle entsorgt, die das Wort Recherche noch richtig buchstabieren können. Journalisten, die ihr Handwerk noch verstehen und nicht den Mächtigen nach dem Munde reden. Wenn Ihr diese Chance verpasst, dann lasst es bleiben und schließt Euren Glaspalast in der Speicherstadt zu. Dann habt Ihr das Recht verwirkt, Euch weiter Journalisten nennen zu dürfen.