Der digitale Pranger – die Kehrseite der Meinungsfreiheit

Gepostet am: 12. Dezember 2019 um 17:06

Ich habe in meinen Beiträgen ja schon einige Male die Meinungsfreiheit thematisiert. Und speziell beim letzten, als es um den Rauswurf von Uwe Steimle beim MDR ging, schlugen die Wellen doch ein wenig höher.

Was bedeutet Meinungsfreiheit?

Diejenigen, die es sich in der heutigen Zeit einfach machen behaupten, jeder und jede könne sagen was er oder sie wolle, ohne dafür in den Knast zu kommen. Punkt. Angeblich war es ja in der verblichenen DDR gang und gäbe, dass so die Erinnerung vieler, die es eigentlich nie selbst erlebt haben, jeder verhaftet und in Bautzen eingesperrt wurde, der sich negativ über Honecker, den Staat, die Partei, den Sozialismus, Lenin, die Sowjetunion oder über sonst etwas geäußert habe. Ich selbst habe nur die ersten 23 Jahre meines Lebens in der DDR verbracht und kann deshalb nicht so kompetent darüber diskutieren wie jemand, der seit 50 Jahren im Westen die BILD liest, ARD, ZDF und SPIEGEL konsumiert und somit aus allererster Hand informiert ist.

Jetzt mal im Ernst. Ich will nicht in Abrede stellen, dass es viele, sicherlich sehr viele Fälle gab, in denen Menschen zu Unrecht in die Mühlen der Staatsgewalt gerieten und zu vergleichsweise sehr harten Strafen verurteilt wurden. Nicht umsonst gab es im Strafgesetzbuch den Tatbestand der „Staatsfeindlichen Hetze“ (§106) und ähnliche. Mir selbst ist in meinen 23 Jahren in der DDR allerdings nicht ein einziger solcher Fall bekannt geworden. Selbst bei der NVA, in der wir unter ganz besonderer „Beobachtung“ standen, wogten die Diskussionen oft recht hoch und so mancher entpuppte sich als wahrer Revoluzzer. Aber niemand von uns wurde deswegen irgendwie zur Rechenschaft gezogen.

Wie sieht es heute aus?

Viele beschwören die im Gegensatz zur DDR angeblich so heilig gesprochene Meinungsfreiheit. Jeder kann auf Staat, Gesellschaft, die Regierung im allgemeinen und Merkel im speziellen schimpfen, ohne rechtlich belangt zu werden. So weit, so gut.

Allerdings, und das ist die Kehrseite der glänzenden Medaille, gibt Gegensatz zu früher, wo man unliebsam gewordene Personen eher „stillschweigend aus dem Verkehr gezogen hat“, heute wieder wie im Mittelalter einen öffentlichen Pranger. Man erinnere sich. Damals wurden Übeltäter, die sich leichterer Vergehen schuldig gemacht hatten, für einige Zeit auf dem Marktplatz angekettet und durften von aller Welt beschimpft, bespuckt oder mit fauligem Obst beworfen werden. Heute ist dieser Pranger digital geworden und der Marktplatz von damals ist nun die gesamte Medienwelt. Nun wird gern behauptet, dass es auch zur Meinungsfreiheit gehört, dass man für seine Äußerungen auch Gegenrede aushalten muss. Kein Einspruch. Allerdings ist es heutzutage Mode geworden, jeglichen frei gewordenen Gedanken sofort ein Label anzuhängen. Sei es „linksgrün versifft“ oder „es spielt der AfD in die Hände“ womit letzterer umgehend in die rechte Ecke gestellt wird. Damit wird man öffentlich zum Paria gemacht, mit dem man gar nicht mehr sprechen dürfe. Diese oft intuitiv von irgendwelchen sensationswütigen Journalisten gefällte Urteil haftet dann oftmals wie ein Tattoo ein Leben lang an jemandem. Die Liste derart gebrandmarkter Prominenter ist ellenlang und sie wächst jeden Tag weiter. Oft genügt schon eine Zeitungsente wie im Falle Dieter Nuhr. Das Blatt, in dem zum ersten Male berichtet wurde, er hätte Greta Thunberg mit Hitler und Stalin verglichen, hat sich inzwischen dafür entschuldigt. Aber das interessiert in der immer hysterischer geführten Debatte niemanden mehr. Nuhr ist nun auf dem riesigen digitalen Marktplatz mit dem Schild „rechter Klimaleugner“ um den Hals zur öffentlichen Beschimpfung freigegeben. Wie viele andere auch. Steimle, Tellkamp, Kretschmer, Tichy, Jebsen, ja sogar (und das finde ich fast schon pervers) die linke Ikone Sahra Wagenknecht.

Was ist Meinungsfreiheit wert, wenn statt eines sachlichen Diskurses, eines Austausches von Argumenten, nur noch ein aufeinander Einschlagen stattfindet? Sind wir wirklich schon wieder soweit, dass es nur noch schwarz und weiß gibt? Wer immer Gefahr läuft wegen seiner geäußerten Ansicht öffentlich geächtet und isoliert zu werden, der überlegt sich immer wieder, ob er den Mund aufmacht. Selbst uns Buchautoren wird immer mal wieder nahegelegt, sich bloß nicht politisch zu äußern.

Aber irgendwann reicht es. Ich bin es leid, dass irgendwer, der mich gar nicht persönlich kennt, mit mir noch nie gesprochen hat, den Daumen entweder nach links oder rechts schwenkt und mir damit ein Label verpasst. Oftmals reicht es schon, sich einfach mal in sein Gegenüber hineinzuversetzen. Warum spricht er das aus, was er gerade gesagt hat? Ist in seiner Rede vielleicht doch ein Körnchen Wahrheit? Vielleicht sollte ich doch erst einmal für einen Moment nachdenken, bevor ich die große Keule auspacke, um auf ihn einzudreschen. Meine Einstellung war schon immer die, dass Streit etwas produktives ist, weil man gezwungen ist, sich mit seiner eigenen Ansicht zu beschäftigen und sie weiter zu entwickeln. Wenn ich stur darauf beharre und Beschimpfungen und Stigmatisierungen die Argumentation ablösen, dann sind wir wirklich verloren.