Ein fiktives Interview, das so sicher nie geführt wird

Gepostet am: 6. September 2020 um 10:56

Journalist: Wir begrüßen heute den Bundesminister…, der uns die Rolle der Regierung in der Corona-Krise erklären wird. Herr Minister, welche Fehler hat die Bundesregierung aus Ihrer Sicht begangen? Wurde der Lockdown zu überhastet beschlossen?

Minister: Von Fehlern möchte ich an dieser Stelle nicht sprechen. Wir haben auf Grundlage des Standes der Erkenntnisse entschieden und nachdem wir uns den Rat von einschlägigen Experten eingeholt haben.

Journalist: Sie meinen Professor Drosten und das Robert-Koch-Institut, richtig?

Minister: Von denen wurden wir in der Hauptsache beraten, das stimmt.

Journalist: Haben Sie denn auch noch die Meinung anderer Sachverständiger eingeholt. Ich spreche von Virologen, Medizinern,Psychologen, Wirtschaftsexperten?

Minister: Die Bundesregierung steht in Kontakt mit Wissenschaftlern aller Fachrichtungen und holt entsprechende Ratschläge ein.

Journalist: Zwischenfrage. Wen haben Sie konkret zu Rate gezogen?

Minister: Wie ich schon sagte, wir stehen in Verbindung mit allen großen Instituten und Universitäten und den dortigen Experten.

Journalist: Aber wer konkret hat Sie denn noch beraten? Nennen Sie uns doch einmal einige Namen!

Minister: Das entzieht sich meiner konkreten Kenntnis. Tut mir leid.

Journalist: Aber wäre es in so einer Situation nicht wichtig gewesen, ein großes, interdisziplinäres Gremium einzuberufen, dass die Lage analysiert und Ratschläge erarbeitet?

Minister: Gewiss. Die Kanzlerin hat ein Corona-Kabinett einberufen und sich regelmäßig mit den Ministerpräsidenten der Länder beraten, um konkrete Maßnahmen festzulegen. Außerdem haben wir ein gewaltiges Hilfspaket für die Wirtschaft geschnürt, um die Folgen abzumildern.

Journalist: Das ist bekannt, Herr Minister. Eine andere Frage: Die Infektionszahlen sind seit Wochen nicht mehr annähernd so hoch wie im März oder April.Wie lange sollen die angeordneten Einschränkungen noch bestehen bleiben?

Minister: In der Tat haben sich die Zahlen im Mai und Juni positiv entwickelt. Das ist ein Ergebnis unserer umsichtigen Maßnahmen, die wir in Zusammenarbeit mit den Ländern…

Journalist: Entschuldigung, Herr Minister. Meine Frage war, warum die Einschränkungen der Grundrechte fortbestehen, obwohl die Infektionszahlen nur noch ein Bruchteil derer sind, die wir im Frühjahr hatten.

Minister (sichtlich genervt): Wir haben auf Grund der Reiserückkehrer inzwischen wieder ein erhöhtes Aufkommen an Infektionen und müssen uns vor der zweiten Welle wappnen, die wir spätestens im Herbst erwarten.

Journalist: Sind die ansteigenden Infektionszahlen nicht vor allem auf die enorme Steigerung der Tests zurückzuführen? Immerhin wurden die Kapazitäten in den letzten Wochen enorm hochgefahren. Und bedeutet infiziert immer gleich krank? Wie viele Menschen, die positiv getestet wurden, haben Symptome?

Minister: Sehen Sie, wir haben in der Tat die Zahl der Tests erhöht. Sicher ist auch das ein Grund für den Anstieg der Infektionszahlen. Aber bedenken Sie, dass wir eine zweite Welle und damit einen erneuten Lockdown verhindern wollen. Deshalb ist es notwendig, die Abstandsregeln einzuhalten und einen Mund-Nase-Schutz zu tragen.

Journalist: Mal ganz direkt gefragt: Verbreiten Sie nicht unnötig Panik unter der Bevölkerung? Ist es nicht so, dass es Ihnen nur darum geht, die Menschen in Angst zu halten? Ein Regieren unter dem Schirm des Infektionsschutzgesetzes, ich nenne es hier mal beim Namen, einer Notstandsverordnung, ist doch unheimlich bequem, nicht wahr? Man muss sich nicht mit einer lästigen Opposition herumschlagen, braucht keine endlosen Debatten im Parlament führen und kann, wie es so schön heißt, durchregieren. Ist das nicht der eigentliche Zweck, den Sie und Ihre Regierung verfolgt? Bitte, Herr Minister, äußern Sie sich dazu!

Minister: Also wissen Sie… So etwas können Sie hier nicht fragen… So war das mit meinem Pressereferenten nicht abgesprochen… Und überhaupt habe ich jetzt noch dringende Termine und muss das Gespräch leider an dieser Stelle beenden.

Der Minister rupft sich das Mikrofon vom Revers und verlässt mit seinem Gefolge eilig das Studio. Unser wackerer Journalist lächelt müde, räumt seinen Schreibtisch aus und gibt beim Chefredakteur wortlos seinen Hausausweis ab.