„Kein Abschied auf der Welt fällt schwerer als der Abschied von der Macht“

Gepostet am: 31. Juli 2021 um 13:21

Charles Maurice de Talleyrand

Auch wenn ich immer noch nicht so richtig daran glaube, dass wir im September wählen werden, ist es doch an der Zeit, einmal eine ganz persönliche Bilanz der Ära Merkel zu ziehen.

Eines gleich vorab: Ich habe Angela Merkel noch nie gemocht. Schon nicht 1990, als sie, noch vorgeblich schüchtern unter ihrer Stahlhelmfrisur hervorblickend, vom „Demokratischen Aufbruch“ zur CDU wechselte, weil sie sich dort mit sicherem Gespür die größere Chance auf eine Karriere in der Politik sah. Erst recht nicht in den Folgejahren, in denen sie sich als Expertin für den Osten zu profilieren suchte. Sie hatte irgendwie in einer anderen DDR gelebt als ich. Eine DDR, in der man sie immerhin Physik studieren ließ, inklusive eines Aufenthaltes in Moskau. Dafür musste man schon nachhaltig beweisen, dass man getreu zu Staat und Partei steht. Insbesondere als Tochter eines Pfarrers. Aber sie lamentierte bei jeder sich bietenden Gelegenheit darüber, wie sehr sie doch benachteiligt wurde. Ich habe bereits damals gesagt, Angela Merkel ist eine geborene Opportunistin. Mir war da noch nicht einmal im Ansatz klar, wie recht ich behalten sollte.

Ihre große Stunde schlug dann, als die CDU (sie hätte auch in jeder anderen Partei sein können, solange die Chance auf die Macht im Staate bestünde) von Parteispendenskandalen geschüttelt wurde. Flugs distanzierte sie sich in einem denkwürdigen Zeitungsartikel von ihrem „Ziehvater“ Helmut Kohl, manövrierte Wolfgang Schäuble und einige andere Herren aus, die (auch nicht ganz unbelastet) vorübergehend auf Tauchstation gegangen waren und fand sich sich unversehens an der Parteispitze der Christdemokraten wieder. Was von den Strippenziehern nur als Übergang gedacht war, entpuppte sich im politischen Gerangel für Roland Koch und seine Kumpane aus heutiger Sicht als Rohrkrepierer. Denn soweit oben angekommen und nur noch einen Schritt von der absoluten Macht, dem Kanzleramt, entfernt, entfaltete unsere Protagonistin nun ihr ganzes Talent. Mit ihrem kleinen Kreis an Getreuen schaffte sie es nicht nur, ihre Position zu festigen, viel mehr wurden sämtliche Konkurrenten nicht einfach in die Wüste geschickt, sondern auch soweit nachhaltig geschädigt, dass sie nie wieder auch nur auf den Gedanken kommen könnten, an „Muttis“ Thron zu sägen. Die Liste der von ihr „entsorgten“ Damen und Herren ist mittlerweile so lang, dass es einen extra Beitrag bräuchte, um sich allen zu widmen. Die Auswirkungen sehen wir bis heute, wenn wir daran denken, was für blasse Gestalten sich um ihre Nachfolge bewerben.

Den Höhepunkt ihrer Karriere erreichte unsere Heldin im Jahr 2005, als sich ihr großer Traum vollendete und sie ins Kanzleramt einzog. Und nun legte sie erst richtig los. Ihre Doktrin „Macht sichern und sukzessive ausbauen“ bekam eine Dimension, die selbst mich als „gelernten DDR-Bürger“ bis heute immer wieder staunend zurücklässt. Ich will da nur mal ein paar Punkte herausgreifen, die mir immer wieder ins Auge fallen.

Da ist zunächst die Ausrichtung der Presse: Viele Jahre war es so, dass die eine Zeitung oder das eine Nachrichtenmagazin eine eher linke Ausrichtung hatte, eine andere eher eine konservative. Das war auch gut so. Was die meisten einte, war eine eher kritische Einstellung gegenüber den Regierenden. Ja, ich gebe zu, in manch schwacher Stunde habe ich mir in den letzten Jahren Helmut Kohl zurückgewünscht. Zwischen dem und der Presse wurde noch richtig geholzt. Das hatte nicht nur einen hohen Unterhaltungswert, es zeigte auch die Distanz zwischen Medien und Politik. Das alles ist heute, wie jeder, der sich überhaupt noch dafür interessiert, bemerkt haben dürfte, völlig anders. Es fühlt sich (leider nicht nur ein bisschen) an wie 1989 in der DDR. Die allermeisten Medien berichten im gleichen Kontext. Sie schreiben teilweise sogar voneinander ab. Was alle eint, ist eine gewisse Loyalität zu Angela Merkel. Über ihre (mehr oder minder fähige) Ministerriege darf zuweilen noch hergezogen werden, die Kanzlerin selbst ist für die Presse sakrosant. Wer sich in einem Anfall von Masochismus mal eine Bundespressekonferenz anschaut, der bekommt dort Realsatire vom Feinsten vorgeführt. Ich frage mich ernsthaft, wie tief man als Journalist gesunken sein muss, um eine solche Veranstaltung überhaupt aufzusuchen? In den letzten Jahren hat sich, als Folge der immer uniformeren Ausrichtung der großen Presseorgane (völlig egal ob öffentlich-rechtlich oder privat), ein bunter Strauß an alternativen Medien im Internet etabliert. Natürlich sollte man nicht alles für bare Münze nehmen, was dort berichtet wird, aber es ist schon interessant zu erfahren, was uns an Hintergründen von Klaus Kleber & Co so alles vorenthalten wird. So mancher Fall steht plötzlich in ganz anderem Licht da.

Gegen diesen „Wildwuchs“ an nicht gewünschter Informationsflut wird in letzter Zeit rigoros vorgegangen. Das Mittel der Wahl heißt „Netzwerkdurchsetzungsgesetz“ und verpflichtet die sozialen Medien unter Androhung horrender Strafen zum Löschen von sogenannten „Hasskommentaren“. Wobei völlig offen bleibt, was denn die Kriterien eines solchen Beitrages überhaupt erfüllt. Und überhaupt ist jede Kritik an den Medien in Deutschland inzwischen mit dem Makel belegt, es spiele der AfD oder generell den Rechten in die Hände.

Damit wären wir schon beim nächsten Punkt, der zeigt, wie sehr das System Merkel dieses Land verändert hat. Von vielen Kommentatoren wird gern angemerkt, das politische Koordinatensystem habe sich in den letzten Jahren nach links verschoben. Das stimmt so nicht. Wir haben es immer noch mit einem System zu tun, in dem das Geld regiert und der Staat letzten Endes Politik in erster Linie für die Großkonzerne macht. Man schaue sich nur einmal an, wer von der Bankenrettung oder der Griechenlandpolitik am meisten profitierte. Was sich nach und nach verschoben hat, ist nach knüppelharter Arbeit der neoliberalen Meinungsmacher die Ansicht, was links und rechts bedeutet. Merkel & Konsorten sind immer noch so rechts wie immer, nur die Ansicht dessen, was man heute als rechts definiert, ist eine völlig andere. Und so kommt es, das sie von „ihren“ Medien gern als eher links verortet wird und demzufolge jedwede Kritik an ihr natürlich von rechts kommen muss. Und damit wären wir beim absoluten Meisterstück ihrer Amtszeit. Sie und ihr Umfeld haben es tatsächlich geschafft, das politische Spektrum derart durcheinanderzuwirbeln, dass eine Sarah Wagenknecht heute von ihrer eigenen Partei als Rechte beschimpft wird, während man die grünen Frackinggas -und Rüstungslobbyisten als Linke wahrnehmen soll. So geht Meinungsmache nach 16 Jahren Angela Merkel.

Den machtpolitischen Höhepunkt lieferte ihr gegen Ende ihrer Amtszeit natürlich Corona. Jetzt konnte sie noch einmal zeigen,wie egal ihr die Bevölkerung, die eigene Partei, das Grundgesetz, ja Deutschland als Ganzes eigentlich ist. In der ausgesprochen komfortablen Position, nicht wieder zur Wahl zu stehen, überzog man das Land mit einer Orgie von Maßnahmen, die dem Bürger vor allem eines zeigen sollten und immer noch sollen. Wer in diesem Land das Sagen hat.

Und es ist noch nicht vorbei…