Warum in der rechten Ecke schon wieder angebaut werden muss

Gepostet am: 30. April 2020 um 8:47

Um es gleich vorwegzunehmen: Es geht hier nicht darum, über das für und wider der geltenden Maßnahmen zu debattieren, ob es sinnvoll ist, Lockerungen zu erlauben oder Zwänge zu verschärfen. Das soll das Thema von Experten bleiben. Ich bin kein Virologe und maße mir da auch kein Urteil an.

Worum es mir geht, ist mal wieder die aktuelle Debattenkultur in unserem Land. Um die ist es noch schlechter bestellt, als sie es bisher schon war. Wenn man durch die Weiten des Internets streift, scheinen sich zwei große Lager gebildet zu haben. Zum einen wären da die, ich nenne sie mal Gläubigen, die jeden Abend an den Lippen von Kanzlerin Merkel, Viren-Guru Drosten und RKI-Chef Wieler hängen und deren Verkündigungen als das Allein-Seelig-Machende (oder soll man sagen Allein-Gesund-Machende?) in sich aufsaugen. Und es gibt eine schnell und stark wachsende zweite Gruppe. Die Zweifler. Diese ist nicht annähernd so homogen wie die der Gläubigen. Hier ist quasi alles vertreten. Vom absoluten Spinner über den Aus-Prinzip-alles-Verweigerer, den (angeblichen) Verschwörungstheoretiker bis zur Gruppe seriöser Wissenschaftler, die in Sachen Mathematik, Statistik und möglicherweise sogar Virologie mehr drauf haben als Wieler und Drosten. Und diese Vielfalt der genannten zweiten Gruppe macht es den Gläubigen natürlich einfach, alle in einen Sack zu stecken und mit Verve draufzuschlagen. Und welches Schlagwerkzeug eignet sich besser, auf Menschen mit einer anderen Meinung einzudreschen, als die sattsam bekannte Nazi-Keule. Das heißt übersetzt: In der rechten Ecke muss schon wieder angebaut werden. Denn zu den zur Genüge und in diesem Block oft genug beschriebenen Gruppen kommt nun eine neue hinzu: Die Corona-Leugner! Mir platzte der Kragen, als es in einer Facebook-Diskussion um Merkels respektlose Bemerkung zu den „Diskussionsorgien“ ging, die sie anscheinend nicht haben wolle (wahrscheinlich, weil die beim „Durchregieren“ stören). Sofort kam auf eine kritische Meinung dazu von einem anderen Teilnehmer der Satz: „Das könnte auch die AfD gesagt haben.“ Oha! Das war natürlich das Totschlag-Argument überhaupt! Wie tief sind wir in diesem Land gesunken, wenn wir schon vorab prüfen müssen, was der eine oder andere wirklich rechte Spinner zu einem Thema raushauen könnte, um es dann lieber für sich zu behalten?

Als vor dreißig Jahren der Westen mit seinen Verheißungen über uns ahnungslose Ossis herfiel, hieß es ganz zu vorderst: Nun bekommt ihr eine richtige Demokratie, ihr dürft alles sagen, was ihr wollt und niemand wird euch dafür belangen. Ihr dürft die Mächtigen nach Herzenslust kritisieren, ihr könnt gegen die Regierung demonstrieren, ihr seid nun mündige Bürger!

Davon ist im Jahre 2020 nicht mehr allzu viel übrig. Okay, ich betone das noch mal, niemand geht für seine Meinung in den Knast (jedenfalls kenne ich keinen, kannte ich aber in der DDR auch nicht, soviel nur nebenbei). Aber man wird, und das habe ich hier ja schon oft genug thematisiert, medial gesteinigt. Was genaugenommen auch ziemlich übel ausgehen kann. Und unsere Presse spielt, bis auf wenige Ausnahmen, mal wieder den Scharfrichter.

Wo bleiben denn in unseren Medien die Berichte über Wissenschaftler, die sich mal kritisch mit den Zahlenspielen des RKI auseinandergesetzt haben. Hier hat ausnahmsweise mal der MDR berichtet. Es ist völlig normal, dass Wissenschaftler zu unterschiedlichen Ansichten neigen. Aber nur der Seite den Vorrang zu geben, deren Meinung in den Kram passt und die andere Seite bestenfalls zu verschweigen oder schlimmer, niederzumachen ist, gelinde gesagt, schlechter Stil. Passt aber in die Zeit.

Für unsere Kanzlerin ist diese Phase am (hoffentlichen) baldigen Ende ihrer Amtszeit eine höchst komfortable. Sie kann auf der Grundlage von Notstandsverordnungen (heißt heute Infektionsschutzgesetz) beinahe ungehindert schalten und walten, wie sie möchte. Ohne lästige Parlamentsdebatten, ohne Querschüsse aus der Opposition oder der eigenen Partei. Und hofiert von einer schon beinahe unterwürfigen Presse. Einen Tiefpunkt in Sachen unabhängiger und kritischer Journalismus möchte ich dem geneigten Leser hier nicht vorenthalten. In Nordkorea hätte sich die Autorin damit für höhere Ämter empfohlen. Vielleicht klappt das ja auch bei uns in Deutschland. Und unsere wackeren Landesfürsten haben die einmalige Chance, sich großartig (als Kanzlerkandidaten) zu profilieren und ihre mehr oder minder ausgeprägten Fähigkeiten als Krisenmanager auszutesten. Das Ergebnis ist ein Flickenteppich von Verordnungen und Erlassen, den niemand mehr überblickt. Unsere fleißigen Behörden produzieren Verbote im Fließbandverfahren und schieben gleich noch dicke Bußgeldverordnungen hinterher. Das Geld muss ja irgendwie wieder reinkommen! Und der einfache Bürger? Der reibt sich die Augen. Über Nacht ist er wieder zum Staatsfeind Nummer 1 geworden. Zehn Zentimeter zu nah an jemand anders gestanden? Versucht, ohne Maske in die Straßenbahn zu steigen? Oder einfach mal im Internet die Meinung von Professor Drosten angezweifelt? Die Liste der möglichen Verstöße wird täglich länger. Und die Strafen folgen auf dem Fuße. Dann können sogar unsere Ämter mal ganz schnell sein.

Wie auch immer die Sache ausgeht, teuer wird es in jedem Falle. Und die Zeche für alles zahlen wir. Wie immer.

Bleibt gesund und bleibt vor allem kritisch!